Schon oft verwendete ich den Orgelsound von billigen Plastikkeyboards in meiner Musik. Allerdings dachte ich mir immer wieder, ich könnte mir eine bessere Elektronikorgel besorgen, aber die sind teurer, als mir lieb ist. Zuhause bei Oma steht sogar eine Hammond-Orgel, die aber meinem Bruder gehört und die viel zu groß ist, so ein Wohnzimmermonstrum im Schrankwanddesign mit Basspedalen. Abgesehen von der Tatsache, dass mein Bruder die nicht hergeben würde, obwohl er seit 30 Jahren nicht drauf gespielt hat, wäre sie mir zu unpraktisch.
Dann war ich mal wieder auf dem Recyclinghof (modernes Wort für Müllhalde) und da sah ich die Vermona-Orgel im Container für Elektronik-Schrott. Zunächst brauchte ich einen Spezialisten, der sie mir reparierte und dann war ich enttäuscht, denn der Standard-Orgel-Sound, den ich von allen Keyboards kannte, war auf diesem Instrument nicht zu finden. Aber das liegt wohl daran, dass die Vermona aus einer Zeit stammt, als es die Billig-Digital-Keyboards mit ihrer Sample-Technologie noch nicht gab, sondern jeder Sound analog erzeugt werden musste. Und das klingt auf der Vermona sehr spröde. Inzwischen habe ich mich daran gewöhnt und einige schöne Klanggebilde geschaffen, aber das, was ich mir eigentlich erhofft hatte, Sound-Füllstoff für meine Akkordeonlieder, ist mit diesen charakteristischen Klängen nicht ohne weiteres möglich.
Das führte dann dazu, dass ich einige Aufnahmen begann, die auf diesen spezifischen Vermona-Sound aufbauen. Neben der Vermona kamen noch das Startone-Rollkeyboard und zwei Delays zum Einsatz. Startone ist nach meinem Wissen eine Billigmarke vom Musikhaus Thomann und das Modell MKE 61, das ich mir mal in Kauflaune für 40 € gekauft hatte, ist für „seriöse“ Musiker eine echte Zumutung. Zwar hat die Tastatur die richtige Größe, aber das Gefühl, das den Fingern als Anschlagshaptik entgegengesetzt wird, ist weit von allem entfernt, was man gewohnt ist. Die Bedienbarkeit der vielen, verschiedenen Funktionen und Einstellmöglichkeiten durch die schwergängigen, hässlichen kleinen Knöpfe ist eine Zumutung und das Display äußerst spärlich. Trotzdem stecken ein paar nette Sounds und Rhythmen drin, die ich irgendwann mal einsetzten wollte und jetzt eingesetzt habe. Außerdem habe ich den Sound des Startone-Keyboards sehr großzügig mit dem Boss-Giga-Delay verfremdet und auch die Vermona musste hin und wieder durch das Aria-Digital-Delay aufgepeppt oder defragmentriert werden. Es geht hier in der Tat nicht nur um die Huldigung der Vermonaorgel, sondern die Musik verfällt immer wieder in ausschweifende Delay-Passagen.
Gleichzeitig führte die Benutzung der Vermonaorgel fast zwangsläufig zu einer Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen Lebenswirklichkeiten in den verschiedenen Systemen. Dabei ging es nicht nur um den Unterschied zwischen Ost und West in der Vorwendezeit, sondern auch um die Gefühlsvielfalt der unterschiedlichen Akteure im wiedervereinigten Deutschland. So wie die Musik über weite Strecken im Studio improvisiert wurde, habe ich auch die Texte aus der Stimmung heraus aus alten Fragmenten herausgepickt, angepasst, aufgenommen. Intuitives Stimmungsbild aus dem Coronaherbst 2020, entstanden in der entspannten Lage eines Angestellten im öffentlichen Dienst. Dann kamen noch einige Lieder mit ausgearbeiteten Texten hinzu, die zum Thema passten. „Das Haus in Betonplattenfertigbauweise“ ist mindestens fünf Jahre als, aber der Text ist nach meiner Meinung ein Statement, das ich so, wie es ist, stehen lassen kann. „Wozu arbeiten?“, ebenfalls einige Jahre alt, wurde durch die Überlastung im Gesundheitswesen inspiriert, lag zunächst ungenutzt als Komposition herum. Ich wollte es nicht spielen, weil ich selbst gar nicht betroffen bin. In der Coronakrise bekam der Text noch mehr Bedeutung, ist aber mehr von der bundesrepublikanischen Gewerkschaftsideologie geprägt und weniger vom DDR-Sozialismus. Letztendlich kam es dazu, dass im Brainstorming über die DDR viel mehr Bundesrepublik drinsteckt, als ich beabsichtigt hatte. In geradezu manischer Weise dreht sich in den Texten vieles um die Grenzen der Freiheit, aber um die persönliche, nicht die politische. Die meisten Emotionen entwickeln sich dann eben doch aus dem eigenen Gefühlsleben heraus. Das habe ich erkannt und hoffe, man dieses Album macht trotzdem Spaß. Man sollte es lieber nicht zu ernst nehmen!
credits
released December 27, 2020
Texte und Musik: Ralf Schuster
Sounds: Vermona, Startone MKE61, Boss Giga Delay, Aria Digital Delay
Ralf Schuster: Keyboards, Mundharmonika, Bass und Stimme
license
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